DDR-Regimekritiker Robert Havemann

Überzeugter Kommunist, überwachter Dissident

32:22 Minuten
Aktenordner mit Archivmaterial von Bärbel Bohley sind im Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin zu sehen, hier: ein Foto von dem Chemiker, Kommunisten und DDR-Dissidenten Robert Havemann.
Foto des kritischen Intellektuellen im nach ihm benannten Archiv der Robert-Havemann-Gesellschaft in Berlin, die sich um die Erinnerung an die DDR-Opposition bemüht. © picture alliance / dpa / Stephanie Pilick
Von Martin Hartwig · 13.04.2022
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Robert Havemann war Widerstandskämpfer in der NS-Zeit und überzeugter Kommunist in der DDR. Doch beim SED-Regime fiel er in Ungnade und wurde unter Hausarrest gestellt. Zu hören war er trotzdem: auf Tonbandaufnahmen, die er aus seinem Haus schmuggeln ließ.
Für die SED war Robert Havemann, 1910 in München geboren, eigentlich ein idealer Genosse: Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, vom berüchtigten Nazirichter Roland Freisler zum Tode verurteilt, weil er in einer Gruppe namens „Europäische Union“ gegen das Nazi-Regime opponiert hatte, ein Überlebender, weil das Urteil nicht vollstreckt wurde – und ein überzeugter Kommunist. In den frühen DDR-Jahren Stalinist.
Aber Havemann war zugleich ein frei denkender Intellektueller, der sich keiner Parteidoktrin unterwarf. Deshalb geriet er schon früh mit der Staatspartei der DDR in Konflikt und fiel endgültig in Ungnade, als er gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann 1976 protestierte. Ihm wurde der Prozess gemacht, und das Kreisgericht Fürstenwalde verurteilte ihn zu Hausarrest.

Havemann sollte mundtot gemacht werden

Havemann sollte auf seinem Anwesen in Grünheide im Südosten Berlins mundtot gemacht werden, er sollte mit der Öffentlichkeit nicht mehr kommunizieren können. Doch den Versuch unterlief er, indem er seine Gedanken auf einem Kassettenrekorder aufnahm und aus dem Haus schmuggeln ließ. Heute sind diese Aufnahmen des Dissidenten außergewöhnliche Tondokumente aus den späten 1970er-Jahren.
 
Wolf Biermann vor einem Schwarz-Weiß-Foto von sich und dem Chemiker und Kommunisten Robert Havemann in dessen Garten in einer Open-Air-Ausstellung auf dem Alexanderplatz 2010
Weil er sich im "Spiegel" gegen die Ausbürgerung Biermanns geäußert hatte, wurde Robert Havemann vor das Kreisgericht Fürstenwalde geladen.© picture-alliance / Eventpress Stauffenberg
"Seit den Novembertagen wohne ich nun mit meiner Familie draußen in Grünheide unter diesen sehr merkwürdigen Bedingungen, die sich ein krankhaftes Gehirn ausgedacht haben mag. Der Zweck der Übung ist sichtlich, man will mich loswerden. Man will, dass ich auch den Weg der anderen gehe, es vorziehe, hier meine Zelte abzubrechen und mein Heil im Westen zu versuchen."
Doch Havemann dachte nicht daran, sich dem Druck zu beugen und die DDR zu verlassen. Stattdessen sprach er auf Band, was dann als Buch erscheinen sollte, unter dem Titel: „Robert Havemann – ein deutscher Kommunist. Rückblicke und Perspektiven aus der Isolation“. Initiiert wurde die Aktion von dem Soziologen Manfred Wilke, der in Westberlin nach der Biermann-Ausbürgerung ein „Komitee Freiheit und Sozialismus“ gegründet hatte. Obwohl Havemann eng von der Stasi überwacht wurde, gelang es Wilke, über Mittelsmänner, westdeutsche Zeitungskorrespondenten, Nachbarn und Diplomaten Nachrichten, Dokumente und Tonkassetten nach Grünheide rein- und aus Grünheide herauszuschmuggeln.

Großer Überwachungsaufwand

In einer seiner Aufnahmen beschreibt Havemann, mit welchem Aufwand er isoliert wurde.
„Das Grundstück ist umstellt, von der Wasserseite her. Wir haben ein Wassergrundstück hier. Dort ist Polizei postiert, nachts mit kleinen Scheinwerfern. Links meine Grundstücksgrenze an der Straße, direkt vor dem Haus, da ist einer. An den beiden Enden der Straße stehen große Lkws und die Polizei-Funkwagen auch mit Polizisten, die jeden kontrollieren, der hier hereinwill oder herauswill und nur Leute reinlassen, die hier wohnen. Von Besuchern, die zu mir wollen, haben die direkten Anverwandten eine Ausnahme, der Pfarrer von Grünheide mitsamt Familie und Frau, ebenso die Frau des uns gegenüber wohnenden Zahnarztes dürfen aus unerfindlichen Gründen zu mir kommen“, spricht Havemann auf Band.
„Der Aufwand ist gewaltig und erregt großes Aufsehen bei der Bevölkerung. Es ist wirklich ein unglaublich lächerlicher Vorgang und sinnlos, weil ja der Zweck, der verfolgt wird, nicht erreicht werden kann. Ich denke ja gar nicht daran, die DDR zu verlassen. Wo man auf Schritt und Tritt beobachten kann, wie das Regime allen Kredit verliert und verloren hat. Sodass es wahrscheinlich nur noch wenig äußerer Anstöße bedarf, um das Politbüro zum Teufel zu jagen.“

Die DDR - im Prinzip der richtige Staat

Trotz der Schikanen gegen ihn war Havemann überzeugt, dass die DDR im Prinzip der richtige Staat sei, um eine neue politische Ordnung aufzubauen.
"Bin nach wie vor der Meinung, dass ein Staat wie die Deutsche Demokratische Republik historisch weiter vorangeschritten ist als der Westen, weil eben das Privateigentum aufgehoben ist, Privateigentum an der Industrie, an den Produktionsmitteln, sogar an Grund und Boden im weitem Maße, und Landwirtschaft. Es sind eigentlich die Produktionsverhältnisse des Kapitalismus so vollständig aufgelöst worden, dass eben der Übergang zum Sozialismus verhältnismäßig leicht möglich ist. Was allerdings jetzt entstanden ist, sind nicht sozialistische Produktionsverhältnisse, sondern die, wie ich schon sagte, eines staatsmonopolistischen Systems.“

Ablösung der SED-Riege als Wunschtraum

Havemann sträubte sich dagegen, dass so viele engagierte Oppositionelle die DDR verlassen würden, denn die DDR brauche solche intellektuellen Potenzen, um ein wirklich sozialistisches System aufzubauen.
Für ihn war klar: "Natürlich bin ich auch sehr dafür, wenn praktisch die bisherige SED abgelöst wird und wir einen Bund der Kommunisten gründen. Aber das sind wirklich, gemessen an der gegenwärtigen Wirklichkeit, Wunschträume."
Havemanns Tonbandaufzeichnungen landeten bald im Westberliner Sender RIAS und wurden dort ausgestrahlt. Es sei, stellte RIAS-Literaturredakteur Hans Georg Soldat Jahre später fest, der einzige Straßenfeger einer Literatursendung gewesen – in Ostberlin.

Kommunismus als Demokratie

Havemann entwirft in seinen Tonbandaufzeichnungen das Bild eines Kommunismus, der notwendigerweise auch eine Demokratie sein müsse. Die ökonomischen Ziele des Kommunismus müssten allerdings völlig andere sein als die des Kapitalismus.
„Das Ziel der sozialistischen Ökonomie ist ja auch nicht Vermehrung der Produktion, Erhöhung des Konsums, sondern, im Gegenteil, Erhöhung der Freizeit, ständiges Herabsetzen der notwendigen Arbeitszeit. Und natürlich wird oft gefragt. Werden die Menschen mit dieser großen Freiheit was anfangen können? Was werden sie tun, wenn sie so viel Zeit haben?“, fragt Havemann.
„Ja, was sie bestimmt nicht machen werden, ist das, was sie im Kapitalismus machen, was sie jetzt bei uns machen: zu Hause hocken, ein kleines Häuschen bauen oder mit ihren Freunden trinken, sich betrinken", sagt er.
"Ich sag ja nichts gegen das Vergnügen der Menschen aneinander und auch noch an Wein und Alkohol. Aber es gibt ein viel größeres Vergnügen, dem sich die Menschen dann widmen werden. Nämlich etwas lernen, die Welt kennenzulernen, ihr Wissen zu vergrößern, Kunst kennenzulernen und verstehen zu lernen. Oder was noch weitergeht, sich mit den Kindern beschäftigen. Lehrer werden. Die Menschen müssen doch begreifen, dass bisher die Entwicklung jedes Individuums zu kurz kommt, immer vom unglücklichen Zufall gelenkt wird. In den seltensten Fällen haben Kinder bei der Entwicklung in ihrer Jugend wirklich Glück. Meistens haben sie Unglück. "

Der Wahnsinn ununterbrochenen Wachstums

Den Kapitalismus hielt Havemann für ein historisches Unglück.
„Es ist Wahnsinn, dass der moderne Kapitalismus nicht anders existieren kann als durch ununterbrochenes Wachstum und eine Produktion, durch immer neue Verschwendung von menschlicher Arbeit und menschlicher Intelligenz für sinnlose Zwecke. Es ist doch sinnlos, wenn man bedenkt, dass in 100 Jahren der Energieverbrauch, die Energieproduktion vertausendfacht. Das ist eine Sache, die nicht geht, die nicht auf die Dauer durchzuführen ist, die einfach zu einer Katastrophe führen muss.“
Das Buch „Robert Havemann: Ein deutscher Kommunist“ erschien im Herbst 1978. Am 1. Oktober 1978 strahlte der RIAS die Tonbandaufzeichnungen aus.
Bis Mai 1979 stand Robert Havemann unter Hausarrest. Bis zu seinem Tod 1982 wurde er weiter eng überwacht. 1989 wurde im Haus der Havemanns eine Oppositionsgruppe mit dem Namen „Neues Forum“ gegründet.
(wist)

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